Am Samstag (27.1.96) ging ich dann durch Himmel und Hölle. Der Vormittag war noch ganz normal - ich war zu Hause und schrieb - und in absoluter Hochstimmung war ich dann um ¼ nach 4 am Circular Quay und wartete auf Nicole (Ja, schon wieder.) mit der ich um Halb verabredete war. Wir wollten zum Opera House und "Ningali" sehen. Ich wartete bis halb sechs, rannte zum Opera House tauschte und den Halftixbeleg gegen die Karten, rannte zurück zum Treffpunkt - keine Nicole - rannte um 10 vor 6 zum Einlaß, denn ich wollte das Stück nicht verpassen. Das war die Hölle! Wie ich mich da fühlte, kann man sich vielleicht vorstellen. Das ist diese ganz bestimmte Mischung aus Trauer, Wut, Frustration, Niedergeschlagenheit. Aber ich konnte trotzdem, wenn auch mit Schwierigkeiten, das Stück genießen. Wer oder was ist "Ningali"? Ningali ist der aboriginal Name der Schauspielerin, die in diesem Stück ihr leben erzählt. Und da gibt es viel zu erzählen! Sie ist im Nordwesten Australiens geboren und hat bis zu ihrem 13. Lebensjahr so gut wie keinen Kontakt zu "Weißen" gehabt. ging dann in Perth zur weiterführenden Schule, bewarb sich um eine Stipendium in die USA . . . und bekam es. So war sie für ein Jahr in . . . Alaska. Kam nach der Rückkehr zum Theater und lebt jetzt in Sydney. In diesem ein - Frau - Stück hat sie ihr Leben, ihre Gefühle, ihr Selbstbewußtsein als Aboriginal usw. beschrieben. Lustig und spannend, mit Spiel, Gesang und Tanz.

Was ich nach dieser tollen Performanz mit mir und meiner depressiven Stimmung machte? Für keinen bestimmten Grund setzte ich mich wieder an unseren Treffpunkt am Circular Quay. Und . . . da kam Nicole. Sie war kurz vor 6 angekommen - hatte die Zeit vergessen, da sie den Tag mit einer Bekannten aus Hong Kong zusammen gewesen war - und vor dem Opernhaus auf mich gewartet. Also schlenderten wir noch ein Weilchen durch die Stadt. Aber es war mir unmöglich diesen ungesunden Gefühlszustand so schnell zu überwinden. Noch am Sonntag war ich traurig und deprimiert. So räumte ich erst einmal meine Ecke auf und studierte ein wenig. Und als wenn der letzte Abend noch nicht genug gewesen wäre auch noch das: Dieses Notebook an dem ich hier gerade wieder Tippe meldete den Verlust einer Datei - dieser Datei - dieses ganzen Reiseberichtes. Jeder der diesen Bericht mit seinen 26 Seiten bis hierher gelesen hat, kann sich u.U. vorstellen was das bedeutet. Alles weg! Nichts!

Aber auch gar nichts! Wie war das möglich? Was war passiert? Ich will das ein wenig erklären, es wird jetzt also in die Innereien des Computers gehen, aber keine Panik! Ich werde es - so hoffe ich - allgemein verständlich machen. Alle Computer - Fachbegriffe schreibe ich in eckige Klammern und werde sie erklären. Wie also kann etwas was auf der [Festplatte] - also dem Teil des Computers auf dem alle Informationen sicher gespeichert sind - ist verloren gehen? Dazu muß gesagt werden, daß ein Computer die [Festplatte] - man stelle sie sich bitte als großen Aktenschrank vor, damit er auch alles wiederfindet, einteilt in [Cluster] - einen davon kann man sich als keines Schubfach vorstellen. In diese Fächer packt er nun die Daten, so auch meinen Reisebericht. Da dieser Reisebericht aber zu groß für ein Fach ist wird er zerstückelt und in verschiedenste fächer verteilt. Damit es auch möglich ist, das ganze wieder herauszubekommen, ist in jeden Fach ein Hinweis, in welchen Fach das nächste Stück liegt. Und einer dieser Hinweise ging verloren. Das soll nicht vorkommen, tut es aber von Zeit zu Zeit - zum Glück selten. Nach ein paar verzweifelten Aktionen kam ich auf die Idee doch einfach der reihe nach in alle Fächer zu schauen, ob ich nicht etwas wiederfinde von meinem Reisebericht. So begann ich in jedes Einzelne Schubfach zu schauen. Meine [Festplatte] ist zum Glück nicht soo groß, so hatte ich nur 51.110 [Cluster] durch zu suchen. Was das bedeutet kann man sich vielleicht vorstellen - Stunde nach Stunde saß ich vorm Bildschirm und hatte nur die Hoffnung. Und meine Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Mein Schreibprogramm speicherte meinen Reisebericht, so lange ich an ihm schrieb, auf der Festplatte ab - nur Übergangsweise bis er in die richtigen Fächer (die verlorenen) einsortiert werden sollte - aber nach dem das Schreibprogramm fertig war, er klärte es diese Fächer wieder frei für eine andere Verwendung. Zu meinem Glück bleibt, was da an Informationen war (also mein Reisebericht) so lange da, bis etwas neues gespeichert wird. So fand ich meinen ganzen Reisebericht unversehrt in einem dieser als frei erklärten [Cluster] - um exakt zu sein in den [Cluster] 41.953 bis 42.027. Das war so gegen halb eins - nach 13 Stunden Arbeit.

Den Rest der Woche (29.1. - 1.2.96) verbrachte ich damit zu Schule zu gehen (Ich habe jetzt u.a. einen SPINS über Sigmund Freud), einige Briefe zu beantworten (es sind schon weniger als 15) den Sommer zu genießen und - als besonderes Ereignis - einmal den SPINS zuschwenzen und mit Nicole Lunch zu haben. Also hier ist so richtiger Sommer, und ich genieße jeden Raum der Air-conditioned ist (also mit Klimaanlage) - es sind zum Glück nicht soo wenige, u.a. auch einige der S-Bahnen. Hier sind es an wolkenverhangenen Tagen um die 22 bis 25°C und so bald die Sonne scheint 30°C und mehr. Im Wetterbericht hört sich das dann etwa so an: "31. Januar, Sydney: späte Schauer, 38°C" (Das war aber absoluter Rekord - wie in Alice Springs).

Heute ist nun schon Sonntag der 11. Februar 1996 und es ist wieder ein schöner Sommertag. Ich habe gerade das Buch "A Model Childhood" ("Kindheitsmuster") von Christa Wolf zu ende gelesen und bin noch nicht ganz damit es im Kopf hin und her zu denken. Die Erwartung der Schilderung großartiger Ereignisse die sich in den letzten 10 Tagen zugetragen haben könnten, muß ich leider aus Mangel selbiger enttäuschen. Das einzige mal das ich "aus" war, war gleich am Freitag den 2.2.96 zu einer Harbour Cruise. Zusammen mit einer anderen Sprachschule war ein Boot gechartert und für A$ 15 (exclude Getränke) gab es Snacks und Disko. Also so richtig zum austoben oder anderem. Ich fand den Abend auf jeden Fall recht gut, auch wenn ich mich wirklich erst in aller letzter Minute entschieden hatte mitzufahren, da ich erst mit Nicole 1 ½ Stunden im botanischen Garten gesessen hatte, sie aber dann nach Hause wollte. den Rest der Zeit verbrachte ich damit am Wochenende Briefe zu schreiben und in der Woche mich dem Studium zu widmen. In der letzten Woche habe ich einen neuen Rhythmus für mich entwickelt. Da ich 3 mal die Woche Nachmittags (bis 6 Uhr) Schule habe, stehe ich an diesen Tagen eine halbe Stunde früher auf - Das macht keinen Sinn? Einen Moment bitte der kommt gleich. - sehe Nicole bevor ihr Unterricht beginnt und setze mich in einen der vielen McDonals zum Selbststudium. Auf diese Weise habe ich den sozialen Wert dieser Fast Food Kette kennengelernt. Ersteinmal kann man sich, wenn man sich einmal einen Tee oder Kaffee kauft sooft nachholen wie man will, und wenn man diese Styroportasse gut aufhebt und auswäscht, kann man sie bis zu 2 Wochen getrost benutzen. Und dann kann man sich also mit seiner Tasse in McDonalds an einen Tisch setzen, sich immer wieder frischen Tee - er ist nichts besonderes, aber mit Milch und Zucker genießbar - holen und in aller Ruhe der Zeitung, dem Studium oder sonst etwas widmen. In dieser freundlich, sauberen und gut air-conditioned Atmosphäre mit leiser Musik im Hintergrund. Dieses sollte eigentlich keine Lobeshymne auf Mc werden, aber meine ökologischen Bedenken sind was die Teetassen angeht wirklich nicht soo groß, wenn ich 2 Wochen lang die gleiche "ein - Weg - Tasse" benutze. Und eine soziale Funktion läßt sich ja wirklich nicht absprechen. Und es sagt auch etwas über Australien aus, denn ich glaube in keinem Mc in Hamburg oder Berlin könnte man sich für 2 h hinsetzen - mal davon abgesehen, daß man sich ja, wenn ich mich nicht irre, keinen Tee / Kaffee nachholen kann - und studieren ohne das nicht irgendwer einen schief ansieht.