Die nächsten 10 Tagen waren angefüllt mit verschiedensten Aktivitäten. Bis Sonntag war ich damit beschäftigt 2 Briefe fertig zu bekommen. Es waren die ausführlichsten, und so brauchte ich auch eine ganze Weile sie zu beantworten. Da aber noch immer das Sydney Festival war, saß ich nicht nur zu Hause. Am Samstag, den 20.1.96, verbrachte ich den ganzen Nachmittag am Circular Quay. So gegen 15 Uhr war wohl da, und auf jeden Fall nicht allein, denn es flanierten Hunderte herum. Und wo viele Menschen sind, ist natürlich auch etwas los. So saß ich vielen verschiedenen Gauklern, Jongleuren, Straßenkünstlern usw. zu. Das ich dabei viel Spaß hatte, läßt sich wohl vorstellen, auch wenn ich keine Bekannten traf - zumindest bis 7 Uhr. Das war die zeit, als ich Eva traf. Sie geht in meine Klasse, kommt von Schweden und macht mir - und vielen anderen - Sorgen, da sie offensichtlich Magersüchtig ist. Sie war zusammen mit den anderen Studenten aus ihrer Familie: einem Mädel aus Berlin, Nicole aus Taipeh (Taiwan) und einer Freundin von Nicole. Der Name Nicole wird in der nächsten Zeit wohl noch einige Male auftauchen, da wir - obwohl wir uns erst vor jetzt (27.1.96) 7 Tagen getroffen haben - schon gute Freunde wurden. Aber davon vielleicht später mehr - vielleicht. Ersteinmal hatten wir ein Picknick - Dinner am Circular Quay - um exakt zu sein: auf dem Boden im überdachten Bereich vor dem Bootsanleger, da es begonnen hatte zu regnen. Das war natürlich auch nicht gerade gewöhnlich. Dann beschlossen wir, obwohl es noch immer regnete - aber nicht mehr soo doll, zur "Symphonie unter den Sternen" in die Domäne zu gehen. Das ist der gleiche Park, in dem eine Woche zuvor auch die "Oper im Park" war. Dorthin gingen wir aber nur zu viert, da Nicoles Freundin nach Hause mußte. So saßen wir dann mit 4 Leuten unter einem Regenschirm und Nicoles wasserdichter Jacke. Aber es war schön. Für mich nicht nur, weil ich neben Nicole saß, sondern auch weil die Musik gut war.

Den Sonntag verbrachte ich damit den - irgendwo vorher schon einmal erwähnten - 22 - Seiten - Brief zu Ende zu beantworten. Nur am Abend war ich noch mit Morten zu Darling Harbor zu einem netten, nur zu kurzen Feuerwerk. Montag (22.1.96) hatte ich dann keine Zeit zum SPINS zu gehen, da ich um 1 Uhr mit Nicole zum Lunch verabredet war. Danach bekam ich auch noch eine Karte für "African Heritage" bei Halftix, wo man für den gleichen Abend Karten für fast den halben Preis bekommt, zu der ich also diesen Abend gehen würde. Also war das mal wieder einer Dieser Tage, die ich mir öfters wünschte, und dieser Wunsch scheint sogar in Erfüllung zu gehen. Was also ist die "African Heritage"? Das ist eine fast 2 ½ - stündige Show der Nationalen Tanz Kompanie von Guinea - absolut aufregend. Das man soo Tanzen kann - mit so viel Energie und Kraft, mit so viel Ausdruck. Es wird eine typisch afrikanische Geschichte im Tanz erzählt, von einem Mann, der heiraten will, aber erst Prüfungen bestehen und viel lernen muß. Den ersten Teil sah ich vom Balkon des großen Konzertsaals des Sydney Opera Hauses recht weit weg, aber nach der Pause konnte ich zur 4. Reihe wechseln, und konnte im 2. Teil den Tänzern direkt in die Augen sehen. Am Dienstag ging ich dann wieder zu einem Theaterstück - zusammen mit Morten. Dieses mal aber zu einer Freiveranstaltung im Rahmen des Sydney Festivals vor dem Opera Haus. Es war eine Produktion der niederländischen Kompanie Vis à Vis mit dem Titel "Central Park" und erzählt die Geschichte von verschiedenen Leuten die in einem Wolkenkratzer arbeiten, und gezwungen sind ein Wochenende auf dessen Dach zu verbringen. Das ganze war recht lustig, nur regnete es in Strömen - mal in stärkeren, mal in schwächeren. Aber Regen ist in Sydney ja zum Glück nicht zu schlimm. Man wird zwar naß, aber es ist nicht soo kalt. An diesem Morgen war ich auch noch - zum 3. Mal - beim Zahnarzt, da ich beim Beißen auf einen Knochen einen meiner Zähne beschädigt hatte. Aber jetzt schrieb ich gleich zur Versicherung, um irgendwann mal wieder etwas von dem vielen Geld zurück zu bekommen, und wartete nicht, ob sich nicht noch eine weitere Gelegenheit für einen Zahnarztbesuch bieten würde. Und was machte ich am nächsten Tag? Ich versuchte schon wieder ein Theaterstück zu sehen, aber leider waren alle Karten ausverkauft, und auch auf der Warteliste war kein Platz mehr. Die letzte Chance: Halftix. Das war natürlich ungewöhnlich, denn normalerweise gibt es bei Halftix nur dann Karten, wenn nicht alle verkauft werden können. Also konnte ich nicht zu Theater gehen und schrieb statt dessen einen weiteren Brief.

Donnerstag , der 25. Januar 1996, war mal wieder einer dieser Happy - Days. Erst hatte ich am Morgen guten Unterricht. Ich wechselte- ersteinmal für einen Tag - zu General English, und ich denke ich werde dort auch bleiben, weil es mehr meinen Erwartungen entspricht als Australian Studies. Dann bekam ich bei Halftix eine Karte für "Die aboriginal Protesters . . ." (darüber werde ich gleich mehr schreiben) und traf außerdem noch Nicole für Lunch. Ich verbrachte mit ihr den ganzen Nachmittag. Nach einem frühen Dinner fuhr ich dann nach Redfern zum Theater. Der ausführliche Titel des Stückes, für das ich da eine Karte hatte, war »Die aboriginal Protestierer konfrontieren die Proklamation der australischen Republik am 26. Januar 2001 mit einer Produktion von ,Die Kommission von Heiner Müller«. Mit diesem monströsen Titel ist auch schon fast das ganze Stück beschrieben. Es geht da also um Aboriginals, die Proklamation der Republik Australien und das Stück "Die Kommission" von Heiner Müller. Das das Kapitel Aboroginals für Australien noch immer ein kompliziertes ist, ist vielleicht bekannt. Es dauerte schließlich fast 180 Jahre (bis zu den 70er Jahren dieses Jahrhunderts) bis die Aboriginals die vollen Bürgerrechte bekamen. Sie waren von den ersten Siedlern gejagt wie Tiere, später zur aussterbenden Rasse erklärt, ihre Kinder wurden in weiße Familien gegeben, und erst in den letzten Jahren begann die australische Regierung einiges wieder gut zu machen. Das Australien am 26.1.2001 die Republik ausrufen will, mag manchen verwundern, aber bis heute ist Australien britische Kolonie und Queen Elisabeth II, Königin von Great Britain, ist auch das Staatsoberhaupt Australiens. An diesem 26. Januar 2001 soll sich das dann ändern und Australien will endlich unabhängig werden - was immer das auch bedeuten soll. Und Heiner Müller? Er ist - oh sorry war (er starb im letzten Jahr) ein deutscher Schriftsteller, der sein ganzes Leben als überzeugter Anarchist über selbige nachdachte. In seinem Stück "Die Kommission" geht es darum, daß 3 Geheimagenten von Frankreich, wo gerade die Revolution siegte, in die englische Kolonien Südostasiens geschickt wird, um dort einen Sklavenaufstand anzuzetteln. Während diese Kommission dort aber arbeitet, kommt in Frankreich Napoleon an die Macht und alles wird zur Phrase. Worum geht es nun aber in diesem Stück, das von dem sehr bekannten - ich hatte leider vorher noch nie von ihm gehört - aboriginal Schriftsteller Mudrooroo geschrieben wurde? Eine Gruppe von Aboriginals hat am Abend vor der Proklamation die letzte Generalprobe des Stückes "Die Kommission", welches sie am nächsten Tag aufführen wollen, aber sie kommen nicht gut durch das Stück, weil sie immer wieder ins Streiten kommen was dieses Stück mit ihrer Geschichte zu tun hat usw. Im Ende beschließen sie dieses Stück nicht zu spielen, sondern ein Stück von Mudrooroo, das eher ihre Gefühle und Gedanken ausdrückt. Es endet mit dem Ruf: "Was wollen wir? - Souveränität!; Wann wollen wir sie? - Jetzt! Jetzt! Jetzt!" Alle die noch etwas mehr darüber lesen wollen, können sich aus einer Bibliothek oder sonstwo "Die Zeit" Nr. 4 vom 19. Januar 1996 besorgen und auf Seite 51 (im Feuilleton) eine recht gute Rezension lesen.

Nachdem ich am Abend zuvor dieses phantastische Stück gesehen hatte, fuhr ich am nächsten Morgen mit recht gemischten Gefühlen in die Stadt zur Feier des Australian Days. Aber es würde schon deshalb ein schöner Tag werden, weil ich um 11 Uhr mit Nicole verabredet war. Es war für mich aber schon komisch mit dem Theaterstück im Kopf all die Leute mit den Australien Fähnchen herum rennen und den Tag feiern zu sehen, der für 1,5% der Bevölkerung - den Aboriginals - der Invasionstag ist. Vielleicht bin ich, als Deutscher, auch besonders sensibel für "die Schuld der Väter". Aber um 11 traf ich Nicole. Nun frag sich bestimmt jeder, wer ist dieses Mädchen, das dem verehrten Autor so viele Erwähnungen ist? Die Antwort bleibe ich hier jetzt ersteinmal schuldig - sorry. Auf jeden Fall verbrachten wir den ganzen Tag zusammen. Wir waren im Hyde Park, wo wir Seafood als Lunch hatten. So aß ich zum ersten - und auch letzten mal - Muscheln, solche richtig schönen mit grünen Schalen. Aber auch Baby - Tintenfische - ganz, die ganz lecker sind. Dann waren wir in der Art Galerie von NSW, wo wir fast eine Stunde vor aboriginal Kunst saßen und erzählten, hatten Dinner in China Town (ich hatte etwas taiwanesisches) und waren am Abend noch zu einem Australien - Tag - Konzert im Park. Nach diesem Tollen Tag war ich gegen 12 Uhr wieder zu Hause.